Die aktuellen Auseinandersetzungen über die drastischen Mittelkürzungen im gesamten Hochschulbereich geben auch der Diskussion über die Maßnahmen zur Beseitigung der für Wissenschaftlerinnen und Studentinnen bestehenden Nachteile neue Impulse. Gerade in Zeiten knapper werdender Ressourcen und steigenden Effizienzdrucks haben die Hochschulen in noch viel stärkerem Maße als früher sicherzustellen, daß das vorhandene wissenschaftliche Potential - unabhängig vom Geschlecht seines Trägers bzw. seiner Trägerin - möglichst optimal genutzt und weiterentwickelt wird. Davon kann bislang, trotz einiger Fortschritte in der Frauenförderung, noch nicht ausgegangen werden. Mit zunehmender Erfahrung auf dem Gebiet der universitären Frauenförderung wird deutlich, daß die Beseitigung der für Wissenschaftlerinnen und Studentinnen bestehenden Benachteiligungen Hand in Hand gehen muß mit der kritischen Reflexion überkommener Denk- und Verhaltensweisen sowie struktureller Rahmenbedingungen an der Universität, die nicht nur der Gleichstellung zwischen den Geschlechtern, sondern auch der positiven Entwicklung der Universität als ganzer im Wege stehen. Insofern ist universitäre Frauenförderung keine "Luxusfrage", die man auf bessere Zeiten verschieben kann. Daher hat sich die Universität die Auffassung zu eigen gemacht, daß die Frauenförderung in den Katalog der Kriterien der leistungsbezogenen Mittelvergabe aufzunehmen ist.
Vor diesem Hintergrund gilt es, an den positiven Entwicklungen im Bereich der Frauenförderung, die sich auch im Berichtszeitraum weiter fortgesetzt haben, anzuknüpfen.
Der Frauenanteil im Bereich des wissenschaftlichen Dienstes liegt an der Universität Tübingen mit 26,6 % (1995) zwar noch weit hinter dem Anteil der Studentinnen von 46 % (WS 1994/95), ist jedoch seit 1988/89 langsam aber stetig angestiegen. Dasselbe gilt auch für die Zahl der Professorinnen. Im Wintersemester 1995/96 und im Sommersemester 1996 standen bei 13 Berufungsverfahren 6 Wissenschaftlerinnen auf Listenplätzen, davon 2 auf einem ersten Listenplatz. Die Zahl der Professorinnen an der Universität Tübingen ist seit 1988 bei den C4-Professuren von 1,6 % auf 4,4 % und bei den C3-Professuren von 4,8 % auf 10,9 % gestiegen. Angesichts der trotzdem noch immer bestehenden krassen Unterrepräsentanz von Professorinnen sollte jedoch auch künftig bei der Neubesetzung von Professuren besonderes Gewicht auf die Gewinnung von Wissenschaftlerinnen gelegt werden.
Im Bereich der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses hat sich der positive Entwicklungstrend ebenfalls fortgesetzt. So hat der Frauenanteil bei der Landesgraduiertenförderung an der Universität Tübingen kontinuierlich zugenommen und liegt 1995 bei 36,1 %. Auch die DFG sowie die Begabtenförderwerke bemühen sich offensichtlich mit Erfolg um Chancengleichheit für Wissenschaftlerinnen bei der Nachwuchsförderung. So liegt der Frauenanteil bei der Habilitationsförderung durch die DFG inzwischen bei ca. 27 %, wobei der Frauenanteil bei den Anträgen in etwa dem Frauenanteil bei den Bewilligungen entspricht. Auch die Begabtenförderwerke haben einen Frauenanteil von ca. 35,4 % bei der Promotionsförderung zu verzeichnen. Diese Zahlen machen deutlich, daß es sich lohnt, qualifizierte Nachwuchswissenschaftlerinnen bei der Bewerbung um Stipendien zu unterstützen.
Im Rahmen des Hochschulsonderprogramms II und seiner Fortführung als Hochschulsonderprogramm III werden auch weiterhin Wiedereinstiegsstipendien,- Kontaktstipendien und Werkverträge für Wissenschaftlerinnen ausgeschrieben, die ihre wissenschaftliche Qualifikation aufgrund familiärer Belastungen unterbrechen mußten. Die Nachfrage nach dieser Fördermöglichkeit ist an der Universität Tübingen ungebrochen hoch, obwohl die Laufzeit des Wiedereinstiegsstipendiums auf maximal 1-1 ╜ Jahre begrenzt ist und seine Dotierung vergleichsweise niedrig ist. Die Universität Tübingen hat - aufgrund des Bewerberinnenüberhangs - auch im Jahr 1996 zusätzliche Mittel für diese Stipendien beim Ministerium beantragt, die in voller Höhe bewilligt wurden.
Die Landesregierung plant darüber hinaus im Rahmen des HSP III ein Habilitationsprogramm für Frauen einzurichten. Die Ausgestaltung und der Umfang dieses "Margarethe von Wrangell" - Programms ist jedoch noch nicht bekannt.
Eine wichtige Verbesserung der Rahmenbedingungen der wissenschaftlichen Tätigkeit von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern wurde Mitte letzten Jahres in Kooperation der Universität und der Stadt Tübingen durch die Schaffung von Ganztageskinderbetreuungsmöglichkeiten erreicht. In einer städtischen Kindertagesstätte konnten 12 Betreuungsplätze für Kinder von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern zwischen 1 und 12 Jahren geschaffen werden. Allerdings kann dieses Angebot - wie sich inzwischen erwiesen hat - nur einen Bruchteil der Nachfrage nach ganz-tägiger Kinderbetreuung abdecken. Die Senatskommission für die Förderung von Wissenschaftlerinnen und Studentinnen beabsichtigt daher die Gründung eines Fördervereins, der weitere Initiativen zur Verbesserung der Kinderbetreuungsmöglichkeiten an der Universität Tübingen unterstützen soll.
Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie ist ein zentrales Desiderat bei der Beseitigung der Benachteiligung von Wissenschaftlerinnen und Studentinnen. Hier stehen insbesondere die Professorinnen und Professoren sowohl hinsichtlich ihrer Aufgabe der Betreuung wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten als auch in ihrer Rolle als Arbeitgeber in der Verantwortung. Es zeigt sich immer wieder, daß im Hochschulbereich die bereits bestehenden Möglichkeiten flexiblerer Arbeitszeitgestaltung nicht ausgeschöpft werden. Dies geschieht entweder, weil über diese Möglichkeiten keine Kenntnis besteht, oder - was wahrscheinlicher ist -, weil die Betroffenen mit negativen Auswirkungen auf ihre wissenschaftliche Laufbahn rechnen. Oft ließen sich bei frühzeitiger Auseinandersetzung mit Flexibilisierungswünschen und deren Rahmenbedingungen für beide Seiten annehmbare Lösungen entwickeln, die sowohl die Arbeitsfähigkeit einer Arbeitsgruppe als auch die wissenschaftliche Weiterqualifikation des oder der Betroffenen weiter gewährleisten.
Im Rahmen des Anreizsystems zur Förderung von Wissenschaftlerinnen und Studentinnen konnte die Universität Tübingen in diesem Jahr vier Preisträger aus den Naturwissenschaften und der Medizin auszeichnen, die sich durch positive Initiativen und durch Erfolge im Bereich der Förderung des weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses sowie im Hinblick auf die Verbesserung der Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Familie hervorgetan haben. Das "Anreizsystem zur Förderung von Wissenschaftlerinnen und Studentinnen" hat bisher von unterschiedlichster Seite positive Resonanz erfahren, und auch die Landesregierung bewertet die Etablierung von materiellen Anreizsystemen, die der Frauenförderung zu größerer Wirksamkeit verhelfen, grundsätzlich positiv. Dies bestärkt die Universität Tübingen darin, diese Maßnahme zur Frauenförderung weiter auszubauen.
Im Sommersemester 1996 wurde die VW-Stiftungsprofessur "Soziologie" der Geschlechterverhältnisse am Soziologischen Institut besetzt. Die Universität Tübingen verfügt damit als erste Universität in Baden-Württemberg über einen Lehrstuhl, der explizit im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung denominiert ist. Ebenso konnte die C3-Professur für Englische Literaturwissenschaft besetzt werden, die eine Teildenomination im Fachgebiet "Gender Studies" besitzt. Die betreffenden Fächer und Fakultäten sollten an diesen ersten, nun vollzogenen Schritten der Institutionalisierung der Frauen- und Geschlechterforschung ansetzen und weitere Initiativen in dieser Richtung ergreifen. Vor allem in den Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften ist die Nachfrage nach Lehrangeboten und der Betreuung von Qualifikationsarbeiten zu Themen der Frauen- und Geschlechterforschung noch immer sehr viel größer als das bestehende Angebot.
Kap. 5
Kap. 7
Presse
MAIL(michael.seifert@uni-tuebingen.de)
Presseamts-Info@www.uni-tuebingen.de(dezelski@uni-tuebingen.de) - Stand: 14.11.96 Copyright